Werkverzeichnis von
Vollrad Kutscher ab 1968

Werkverzeichnis von Vollrad Kutscher ab 1968

Vorbemerkungen

Vorbemerkungen:

Ein frühes Werkverzeichnis auf CD-ROM war 2000 dem Katalog Vollrad Kutscher, Top Rearguard, Museum Wiesbaden und Verlag für Moderne Kunst Nürnberg beigelegt. Diese CD-ROM ist mit heutigen Geräten nicht mehr lesbar.  Das aktuelle Werkverzeichnis basiert auf dem alten und wird durch die Aufnahme der seit 2000 entstandenen Arbeiten allmählich erweitert. Dieses Werkverzeichnis soll das Fliessen und die stete Veränderung, die Kutschers Werk innewohnt bewusst machen. Es handelt sich nicht um absolute Dinge oder Nummern, die man wie Steinchen logisch aneinander reihen kann, sondern diese Steinchen bedeuten Trittsteine im Fluss seines ästhetischen Denkens.

Zur Porträtinstallation

Die Porträtdarstellung stellt eine Sonderform im Bereich der Installationen dar. Die Porträtinstallationen entstanden in der Folge von Kutschers Tätigkeit als Performer. Der Performance geht eine Analyse des Raumes voraus. Sie ist ein Bild oder Eingriff auf Zeit für und in einem spezifischem Raum. In seinen Porträtinstallationen werden skulpturale Momente aufgenommen, die aber nicht ein Gegenüber sind, wie es klassische, zu umkreisende Skulpturen oder Objekte darstellen. Vielmehr umgeben sie multimedial den Betrachter. Die Wahrnehmung in einer Porträtinstallation entspricht eher dem Vorgang des Kennenlernens einer Person samt seiner auch widersprüchlichen oder diversen Anteile und ist vergleichbar dem Betreten eines Gebäudes. Am Anfang ist das Bild davon oberflächlich, aber je mehr wir hineingehen, die Person also kennenlernen, desto mehr Aspekte oder Räume entdecken wir, manches erschliesst sich, anderes bleibt verschlossen. Der Betrachter gewinnt nie den Gesamtüberblick und tritt unbeabsichtigt in manchen sogar in Interaktion. Kutscher bezeichnet seine Porträtinstallationen als Modelle für die Darstellung eines „Multividuums“ im Gegensatz zur Auffassung vom „Individuums“ als „Unteilbarem“ In ihnen tauchen allgemeine gesellschaftliche oder berufliche Aspekte auf in denen sich die Dargestellten befinden auf und stehen für aktuelle und allgemeinere Problematik. Ein wesentliches Element ist außerdem das bewusste Scheitern am Anspruch einer absoluten und end- gültigen Darstellung einer Person. Er ist zu Gunsten einer fragmentarischen und Widersprüche integrierenden Darstellung aufgegeben, die dennoch formal und inhaltlich eine Einheit bildet.

Zu Film und Video

Als Kind war Kutscher wie viele Kinder fasziniert von per Taschenlampenlicht an die Wand projizierten Schattenbildern, die Begeisterung des Heranwachsenden für das laufende Bild schloss sich an, werden doch beim Film viele Einzelbilder aneinander gereiht. Sobald es ihm möglich wurde kaufte er eine 8mm und später Super-8 Kamera und machte erste Zeichentrickfilmchen. (Die Entwicklung der „Leuchtenden Vorbilder“ basierten auf einem Versuch mit einem Halogenbirnchen aus seinem Superachtschneidegerät.) Später wurden aus dem Zusammenspiel von Licht, Schatten, Projektion, Bewegung und Raum, Materialität und Immaterialität wesentliche Elemente unterschiedlichster Arbeiten. Ihn interessierte neben der Herstellung eines Dokumentar- oder Spielfilmes vor allem die Rolle des bewegten Projektionsbildes in einem plastisch räumlichen Zusammenhang. Neben super 8, trat 16 mm Analogmaterial. Mit der Entwicklung der Videotechnik nutzte er alle Formate von U-matic, Mini DV, Betamax etc. bis hin zu 4 und 6 K – Videos, anfangs in Zusammenarbeit mit Laszlo Viragh sowie später mit Dieter Reifarth und Hubert Machnik bis hin zu sehr grossen Videoinstallationen und mehreren Zeichentrickfilmen.

Zu Graphische Arbeiten mit Licht, Chemie und Fotopapier.

Als Kind bekam Kutscher zusammen mit einer Fotobox auch das notwendige Entwicklergerät und -material von einer Tante geschenkt. Sie zeigte ihm wie man mit dem Wunder der Licht - Grafik (Photo - Grafik) umgeht. Der „einäugige" Blick durch das damals herausziehbare Drahtquadrat, später das Fixieren eines Gegenübers durch das Objektiv, entsprach später nicht mehr seinem Bedürfnis nach einer angemessenen Darstellung innerhalb von sich doch stets räumlich und zeitlich verändernden Gegebenheiten. Daher nahm er spontane Eingriffe in den Entwicklungsprozess vor, fertigte Luminogramme als kameralose Bilder, und beschäftigte sich mit Lochbildkameras und machte Fotos als Serien, oft als Polaroid- Sofortbilder sowie Zeichentrick- und Endlosschleifenfilme als Zeitbilder im Raum. Sehr viele Porträts und Abbilder als Luminogramme entstanden in sogenannten „Séance en chambre noire“ - Interaktionen mit Personen direkt in der Dunkelkammer und wurden anschließend Bestandteil der übrig bleibenden Ausstellungsinstallationen. Sie stehen im Gegensatz zu den allseits bekannten, meist glänzenden Photobildern, deren Materialität wie bei einem Spiegel hinter ihrer glänzenden Versiegelungen verschwindet. Inhaltliche Schwerpunkte:

Zu Pfenniggesellschaft

Interview: K. Asper  Vollrad (1. Vorsitzender) und Kutscher (2.Vorsitzender) gründeten 1970 die „Gesellschaft zur Verwertung und Erhaltung der Idee des Pfennigs“, seit 2002 umbenannt in EUROPAN A.G. Zur Einführung des Euro errichteten sie das Pfennigdenkmal, offiziell das kleinste Denkmal Frankfurts, eine Art bronzener Messpunkt. Inzwischen ist es Teil eines weltumspannenden Netzes, denn mit Ausnahme Südamerikas liegt auf jedem Kontinent ein solcher Messpunkt. Einmal vollendet soll dieses Netz dazu dienen, rechtzeitig die weltweiten Kapitalstürme und -ströme einzumessen. Die Vorsitzenden empfangen anlässlich der Ausstellung „knusper,knusper, knäuschen...“ in der Trinkkurhalle Bad Nauheims, in deren Zentrum das Modell der Europan Tower und des alten Stammhauses stehen. Sie können per Touchscreen betreten werden und gewähren neben den ausgestellten Kunstobjekten einen Einblick in die lange Geschichte und Entwicklung einer zwischen Fiktion und Realität angesiedelten Gesellschaft. Während des Interviews knabbern sie den Europan, eine Keksmünze, die aus französischem Kastanienmehl und anderen europäischen Zutaten zusammengebacken wurde und etwas weihnachtlich schmeckt.

Was bedeuten die Zeilen aus dem Besuch in ihrem Stammhaus: „Ist Dein und doch nicht Dein, all dieser Glanz ist Schein. Wo könnte die Geheimtür sein?“  Kutscher: Ja, das hört man sobald man das Tresorschloss im Keller geknackt hat, angesichts von Regalen voller Goldbarren. Es handelt sich allerdings nur um ein Bild und das ist dazu noch virtuell, es gehört also dem Betrachter ebenso wenig, wie die abgebildeten Barren.  Vollrad: und dann ist man in diesem Raum solange gefangen-es gibt kein Zurück -, bis man die Geheimtür ertastet hat, über die man in den nächsten Raum, eine Hexenküche gelangt, wo in einem Bottich die Idee des Pfennigs gebraut wird, die dann in das Metall fährt.  

Seit 1968 studierten Sie beide Kunst, wie kamen es zur Gründung der Gesellschaft zur Verwertung und Erhaltung der Idee des Pfennigs? Vollrad: Wir haben damals, auch um etwas Geld zu verdienen, in Frankfurt für andere Künstler Auflagen von Radierungen und Lithographien gedruckt. Das bedeutete ja konkret ein Wertpapier herzustellen, also aus Papier das nur einen Papierwert hatte durch die darauf gedruckte Kunst eine Wandaktie herzustellen, ein Vorgang der in der Banken- und Börsenstadt naheliegend schien und der letztlich bis heute absurde Blüten auf dem Auktionsmarkt treibt, weil Kunst als Anlage und Ersatzgeld in Depots benutzt und gebunkert werden kann.  Kutscher:Dank etwas Karl Marx und Roland Barthes erkannten wir damals, dass auch die geliebte und hehre Kunst nur eine Ware ist, wobei der Wert sowohl bei Geld wie Kunst auf Glauben und Vertrauen basieren. In einer Semesterarbeit beschäftigten wir uns damals auch mit der Analyse des 10 DM Scheines, auf der sich ein berühmtes Dürerporträt befand. Allgemein anerkannte alte Kunst und ihr Mythos wurden beschworen, um die Glaubwürdigkeit eines Stückchens Papier zu unterstützen, das sonst ja nur eine hunderttausendfach produzierte Drucksache war in einem Deutschland, das die letzte Inflation noch präsent hatte.

Ausgangspunkt war also trockene Theorie?  Kutscher: Nein, eher feuchte, weil die Diskussionen über Kunst fanden in einer Apfelweinkneipe statt. Aus einer spielerischen Laune heraus gab ich damals auf einem Bestellzettel die erste Obligation zum Nennwert von einem Pfennig, dem Finanzatom, heraus zum Kurswert von 8 Pfennigen. Die Originalaktie sollte dann eine gedruckte Radierung sein, deren Kupferdruckpapierwert allein schon mehr Wert war, so wie ja auch der Pfennig in der Herstellung zweieinhalb Pfennige kostete.

Der Staat investierte also tatsächlich in die Idee des Pfennigs als kleinster Einheit...  Vollrad:ja, schon sehr bemerkenswert nicht wahr und im Atelier veranstalteten wir zur Zeit des Häuserkampfes gegen die drohende Zerstörung intakter Viertel durch Kapitalkathedralen und der sich verhärtenden Ideologisierung der Studentenschaft, feuchtfröhliche Roulettespiele, bei denen nur mit Pfennigen gespielt wurde. Wir beide aber hatten die Bank und wie im richtigen Leben gewinnt normalerweise die Bank. Schließlich hatten wir 40.000 Pfennige. Daraus haben wir 1995 unser Stammhaus, eine elektronische Bodenskulptur errichtet. Sie bestand aus einer Art schwerem Reliquiar in dem die Idee des Pfennigs ruhte und aus einem Bildschirm über den man es virtuell betreten konnte. Dank einer dreijährigen, immensen Arbeit in der Steinzeit der Computerei war es möglich ca. 60 min. in den sieben Stockwerken herumzustöbern. Es wurde von der Köln/Bonner Sparkasse gekauft. 

Ihr Stammhaus thront jetzt als Modell auf dem Knusperhäuschen zwischen den EUROPAN TOWERN. Kutscher: Die Bildschirmformate und -auflösungen haben sich seither enorm verändert, was dazu geführt hat, dass die CD vom Besuch in unserem alten Stammhaus nicht mehr lesbar war. Deshalb haben wir „renoviert“. Heute hat das Stammhaus den Charme und die Patina von früher und gleichzeitig haben wir zwei zusätzlichen Türme dazugestellt, die Platz für viele aktuelle und zukünftige Entwicklungen bieten (www.geldhaus.eu.). Vollrad:Sie stehen auf einem Sockel in Form eines bemalten Hexenhäuschens, mit diversen Videoprojektionen und Sounds, denn was entspricht der Geldwelt mehr als die Kraft der Märchen und Mythen auf der sie beruht? Es gleicht doch Hexerei, wenn Geld aus dem Nichts geschaffen wird, in Unmengen digital die Welt umrundet und hier oder dort Wunder oder Schreckliches bewirkt. Der Glaube aller in das Geld versetzt tatsächlich Berge, aber er ist anfällig gegenüber Störungen und Manipulationen, wie uns die sich wiederholenden Finanzkrisen zeigen. Nach der Krise ist vor der Krise.    Für einen kunstinteressierten Besucher ist das alles ja erstmal eher irritierend.  Kutscher: Das soll es ja auch sein, denn Zweifel und Infragestellungen sind beabsichtigt. Da sind u.a. eine kleine Auswahl von Originalaktien aus der Frühzeit zu sehen, das Logo der Gesellschaft von einem Stammtischfähnchen, erste Entwürfe des Europan, etc. und Objekte aus der Kunstsammlung der Gesellschaft, bei denen man sich natürlich fragen kann: ist das jetzt Kunst, oder kann das weg? Oder wie ist die Malerei eines Geschenkpäckchens zu beurteilen? Was ist sein Inhalt und was seine Form? Es könnte von Interesse sein, dass es sich um auf Blütenstoff gemalte „Blüten und Blasen“ handelt und dass sich im Innern der Kiste zwei Fotogramme befinden, die für eine Installation in der Dresdner Bank gemacht worden waren. Sie wurden aber noch zu DM- Zeiten als schwarz/ weisse Bilder für den Gang von den Sekretärinnen abgelehnt, ebenso wie ihre farbige Verpackung. Die Bank gibt es seit längerem nicht mehr.  Vollrad: Oder man sieht ein „Schwarzes Quadrat“ und denkt naja, was soll das ca. 100 Jahre nach Malewitsch? Nur ist unsere „Ikone“ der Moderne hier begleitet von einer Anzeige aus der Süddeutschen Zeitung im Goldrahmen, in der Interesse an Kunst ab 1 Million geäußert wird. Was sehen wir also, wenn wir so ein „Schwarzes Quadrat„ sehen? Hehre Kunst oder banales Anlageobjekt, und welche Bedeutung hat der Humor, wenn man kürzlich unter den Schichten des Originalbildes einen Text gefunden hat, der sinngemäß übersetzt heisst: Schlacht von Schwarzen in einer dunklen Höhle. Außerdem gibt es ja nebenan den Animationsfilm „Moneta“ zwischen Märchenautoren als „Leuchtenden Vorbildern“ zu sehen und schwarze Tafeln mit Kreidezeichnungen und Reliefartigen Vertiefungen, über die abgewandelte Motive aus dem Film gezeichnet sind. Da werden auf jeden Fall die Erwartungen erfüllt ... Kutscher: und eine Filmaufzeichnung Deiner Rede am Pfennigdenkmal zu Bildern und Geld vor der Deutschen Bank, wo es Dir die Sprache verschlagen hat und Du „auf dem letzten Loch pfeifst“...