Werkverzeichnis von
Vollrad Kutscher ab 1968

Werkverzeichnis von Vollrad Kutscher ab 1968

Einführung

Spiel und Abenteuer - Zeit-Werke und Raumeingriffe

Vollrad Kutscher ist kein Musiker, er ist bildender Künstler, aber seit geraumer Zeit verhält er sich wie einer. Kutscher remixt Kutscher, basierend auf einem offenen Werkbegriff, reformuliert er das eigene Werk und transformiert es in die Gegenwart. Kutscher wusste schon immer in seiner langen künstlerischen Karriere zu überraschen und nutzte von Anfang an ungewöhnliche Materialien und Methoden, um zum eigentlich Kern seiner Kunst vorzudringen, der Erstellung eines zeitgemäßen Porträts. Blickt man in Kutschers Porträtentwicklung zurück bis zum Beginn des Studiums Ende der 60er Jahre, so ergab sich seit 1968/69 ein konsequenter Weg von einer anfänglichen Unzufriedenheit mit traditionellen Porträttechniken und Kunstauffassungen hin zu einer Überschreitung des als begrenzt empfundenen vorgegebenen Kanons und Rahmens. Kutscher teilte das bei den Künstlern in dieser Zeit verbreitete Bewusstsein, in einer Umbruchzeit zu leben, in der die vorgegebenen Porträtmodelle der Renaissance und Moderne nicht mehr ausreichten. Der erste Mensch auf dem Mond, der orbitale Blick aus dem Weltraum auf die Erde bis hinein in die Nano-Welt, die unter dem analytischen Blick der Wissenschaft zerfallende ganzheitliche Auffassung vom Menschen waren unübersehbare Zeichen und Auslöser für neue Modelle der Darstellung des Menschen und seiner veränderten Stellung in der Welt. Standen am Anfang noch diverse Versuche, auf der zweidimensionalen Fläche formale Lösungen zu finden, durch Verwenden von Schrift und Bild sowie Einsatz eines bewusst motorischen, stark emotionalen Stils, in dem der Prozesscharakter der Herstellung betont wurde und der Faktor Zeit über das serielle Prinzip Einzug hielt, so traten bald Versuche daneben, die erarbeiteten Formen anhand von Objekten in den Raum zu übertragen. Die Ausweitung seines grafischen „Umreißens“ und ihre Übertragung in den Raum wurde begleitet von der Einsicht, dass dem Medium Film eine außerordentlich wichtige Rolle in Verbindung mit den traditionellen Gattungen zuzuschreiben war. Anfang der 70er Jahre entstanden kontinuierlich experimentelle Arbeiten auf dem Weg zu einem gegenwärtigen Menschenbild. Ab 1970 beschäftigte sich Kutscher intensiv mit der flüchtigen Performance, der Arbeit mit dem eigenen Körper und dessen Möglichkeit als Bild in der Zeit im jeweils konkreten Raum. Aus dieser Zeit stammte seine Fähigkeit, auf Grund der Analyse vorgegebener Räume frei und spielerisch mit präzisen Eingriffen zu antworten, wie es seine Arbeiten im öffentlichen Raum belegen. Der Durchbruch gelang ihm 1980 mit der - aus einer Performance hervorgegangenen - Installation „Der Weiße Traum“. Verschiedene Medien wie Leinwand, Foto, Licht, Sound etc. wurden nicht traditionell bearbeitet, sondern formal und inhaltlich miteinander verschränkt und der Betrachter als aktiver Teilnehmer einbezogen. Während im Kunstbetrieb die „neue wilde Malerei“ von sich reden machte, entwickelt Kutscher unbeeindruckt davon in zeitintensiven, aufwendigen Entwicklungs- prozessen in den folgenden Jahrzehnten eine Spezialform der Installation: die Porträtinstallation, die dem aufgesplitterten Menschenbild des Multividuums in ihrem gesellschaftlichen Kontext gerecht wird. Joseph Beuys´ Begriff der sozialen Plastik hatte und hat für Kutscher dabei Vorbildfunktion. Sein Ansatz innerhalb der Porträtinstallation beinhaltet auch Partizipation und Kommunikation. Das Zusammenführen unterschiedlichster Menschen im Kunstkontext, gerne in Form gemeinsamer Feiern, wurde seitdem zu einer wichtigen Arbeitsgrundlage. Diese Werke sind Reaktionen auf Menschen, Räume und Situationen die uns alle betreffen. Sein Ziel ist es Kommunikationsräume zu schaffen. „Ohne Kommunikation zwischen den gesellschaftlichen Schichten wird alles zum reinen Verteilungskampf und bedeutet letztlich den Zerfall der Gesellschaft“. Im besten Falle gelingt es ihm, wie beispielsweise mit seinen Leuchtenden Vorbildern im Rüsselsheimer Rathaus, einen durch Kunst initiierten kommunikativen Prozess innerhalb einer Kommune in Gang zu setzten und permanent am Laufen zu halten. Ferner erweitert er den Autorenbegriff durch die Zusammenarbeit mit dem Filmemacher Dieter Reifarth und dem Komponisten Hubert Machnik hin zu einem Autorenkollektiv.

Peter Forster, 2023